Muttermilch – mehr als ein Lebensmittel

Als die Frühgeborenenstation des Perinatalzentrums München Großhadern der LMU vor fünf Jahren ihre Frauenmilchbank in Betrieb nahm, war dies die erste Neugründung in Westdeutschland seit Jahrzehnten – und die erste in den „alten“ Bundesländern. Inzwischen hat die Frauenmilchbank am Perinatalzentrum Großhadern für 251 kleine Frühgeborene und 27 kranke Neugeborene mehr als 100 Liter native Frauenmilch bereitgestellt, gespendet von Frauen, die ihr Kind auf der Station geboren haben und ihren Milchüberschuss gern den Kleinsten der Kleinen zukommen lassen wollten.

 

„Gerade Früh- und Frühstgeborene sind auf Muttermilch angewiesen. Ihre Organe sind noch nicht fertig entwickelt und ihr Verdauungs- und Immunsystem ist besonders anfällig für Keime.“

 PD Dr. med. Susanne Herber-Jonat, Neonatologin am Universitätsklinikum Großhadern in München

Verschiedene Studien legen nahe, dass Frühgeborene Muttermilch nicht nur besser vertragen als industriell hergestellte Säuglingsnahrung, sondern dass sie aufgrund der besonderen anti-infektiösen Inhaltsstoffe der Frauenmilch auch seltener an Infektionen erkranken. „Muttermilch zeichnet sich – neben ihrer nutritiven Vorzüge – vor allem durch spezielle immunologische Eigenschaften aus, die das Immunsystem des Frühgeborenen stärken und die Barrierefunktion der Darmwand schneller reifen lassen“, so die Ärztin weiter.

 

Die Frauenmilchbank am Perinatalzentrum München Großhadern ist eine Einrichtung zur Gewinnung, Testung, Lagerung und Weitergabe von gespendeter Frauenmilch für Früh- und Neugeborene, deren Mütter innerhalb der ersten ein bis zwei Wochen nach der Entbindung keine ausreichende Menge Muttermilch aufweisen. Die Gewinnung, Verarbeitung und Abgabe der Spendermilch erfolgt nach strengen Arbeitsanweisungen, die in Anlehnung an die Verfahrensweisen bei der Blutspende und dem Betrieb einer Blutbank erarbeitet wurden. „Für die Frauenmilchbank Großhadern kommen nur gesunde, CMV-seronegative Spenderinnen in Frage, die ihr eigenes Kind ausreichend mit Muttermilch versorgen können und bereit sind unter Beachtung strenger Hygienerichtlinien in den Räumlichkeiten der Frauenmilchbank ihre Milch abzupumpen“, betont Herber-Jonat.

Der personelle und finanzielle Aufwand für Aufbau und Betreiben einer Frauenmilchbank auf einer Frühgeborenenstation ist erheblich. So wäre auch der Aufbau der Frauenmilchbank am Perinatalzentrum Großhadern ohne die Unterstützung des Elternvereins „Frühstart ins Leben e.V.“  und MSD nicht möglich gewesen. Inzwischen werden zumindest die Kosten für die mikrobiologischen Untersuchungen vom Klinikum der LMU übernommen.

 

Seit März 2012 wird den Früh- und Frühstgeborenen auf der Station I 10B des Perinatalzentrums Großhadern nun Spendermilch der stationseigenen Frauenmilchbank angeboten, wenn ihre eigene Mutter noch nicht genug eigene Milch bildet. „Die allererste Frauenmilch spendete die Mutter eines frühgeborenen Mädchens der 23. Schwangerschaftswoche. Bei ihr hatte der Milcheinschuss trotz Frühgeburt regelgerecht eingesetzt, sodass sie schon bald nach der Geburt größere Milchmengen abpumpen konnte. Bereits nach einigen Tagen pumpte sie täglich etwa alle drei Stunden jeweils um die 100 Milliliter Milch ab – zu viel für ihre kleine Tochter, die in ihren ersten Lebenstagen nicht mehr als fünf bis sechs Milliliter pro Mahlzeit schaffte“, erzählt die Medizinierin. Die Milch dieser Mutter war deshalb genug, um andere Frühchen mit Muttermilch zu ernähren. „Als ich gefragt wurde, ob ich mich bereiterklären würde, die erste Milchspenderin der neu gegründeten Frauenmilchbank zu werden, sagte ich sofort zu. Es war ja für mich mit keinerlei Belastung verbunden. Aber vor allem sah ich die Chance, etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Ich wollte sehr gern helfen – zumal ich an meiner Tochter hatte beobachten können, wie sehr ein Frühgeborenes davon profitiert, wenn es gleich von Anfang an mit Muttermilch ernährt wird“, erinnert sich die Mutter. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen waren erfüllt und so pumpte die erste Spenderin die nächste Zeit ein- bis zweimal am Tag unter Aufsicht einer Laktationsberaterin der Frauenmilchbank Milch für ein weiteres Frühchen ab. „Fast vier Wochen konnte sie ihre Milch der Frauenmilchbank zur Verfügung stellen. Dann hatte sich ihre Tochter so gut entwickelt, dass diese deutlich mehr Milch benötigte, um satt zu werden und sogar gestillt werden konnte“, erinnern sich Dr. Susanne Herber-Jonat

Über die letzten fünf Jahre haben 48 Mütter ihre Muttermilch in Großhadern gespendet und stellen diese den Kleinsten der Kleinen auf der Intensivstation zur Verfügung. Die Bereitschaft zur Spende und zum Erhalt gespendeter Frauenmilch ist seit dem ersten Tag unerwartet hoch. „Bis auf einzelne Ausnahmen, in denen der Erhalt von Spendermilch aufgrund religiöser Gründe abgelehnt wurde, haben sich alle Eltern für Spendermilch für ihr Frühgeborenes entschieden: Mit dem Erfolg, dass seit Einrichtung der Frauenmilchbank Großhadern keines unserer Frühgeborenen mehr eine sogenannte „Nekrotisierende Enterokolitis, NEC“ (eine schwere Darmentzündung) erlitten hat.“Eine weitere positive Beobachtung sei zudem der schnellere Nahrungsaufbau der Frühgeborenen auf Station – so sind die Kinder mit Spendermilch im Mittel einen Tag eher voll oral aufgebaut. Die Einrichtung der Frauenmilchbank hat außerdem ganz nebenbei zu einem größeren Bewusstsein der Bedeutung an Muttermilch im gesamten Team der Neonatologie Großhadern und den Müttern der Frühgeborenen geführt. So ist der Anteil der voll- oder teilgestillten ehemaligen Frühgeborenen bei Entlassung seit der Eröffnung der Frauenmilchbank deutlich gestiegen.

Fotos/Text: © Klinikum der Universität München