Eltern als Experten und Lehrmeister

Ein Frühgeborenes benötigt neben der pflegerischen und medizinischen Versorgung vor allem seine Eltern, um sich adäquat zu entwickeln und reifen zu können. Deshalb ist es wichtig den betroffenen Eltern eine individuelle Begleitung und Beratung anbieten zu können.

Aus dem Verständnis eines familienzentrierten Betreuungsansatzes heraus wurde bereits 1994 Deutschlands erste psychosoziale Elternberatung im damaligen Kaiserin- Auguste- Viktoria Kinderkrankenhaus- der heutigen Charité – in Berlin gegründet. Eltern sollten die Möglichkeit erhalten in terminierten Gesprächen, unabhängig vom Arbeitsanfall auf der Station verlässliche Gespräche zu führen und Fragen stellen zu können, die über das pflegerische und medizinische hinausgehen.

Alle Mitarbeiterinnen sind gelernte Intensivkinderkrankenschwestern und haben im Laufe ihrer Tätigkeit in der Elternberatung spezielle Zusatzqualifikationen erworben, die auf die besonderen Bedürfnisse von Eltern im Perinatalzentrum abgestimmt sind. Auf dieser Grundlage vereinen sich Grundwissen um die Besonderheiten von Frühgeburt und komplexen Erkrankungen im Neugeborenenalter mit speziellen Fachkompetenzen in Bereichen wie z. B. Case Management, Gesprächsführung, systemischer Familien- und Paarberatung, Ethikberatung, Trauerberatung und Stillberatung.

Die Betreuungs- und Beratungsangebote entwickelten sich aus den Wünschen und individuellen Bedürfnissen der von uns begleiteten Eltern und bilden bis heute die Grundlage der täglichen Arbeit (s. Homepage Elternberatung).

Familie im Mittelpunkt

Eltern in einem Perinatalzentrum lernen im Laufe ihres Krankenhausaufenthaltes sehr viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen in unterschiedlichen Funktionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedlichen Stationen kennen. Hier bietet sich die Elternberatung als eine Art „Roter Faden“ an, mit dessen Hilfe sich die Eltern leichter orientieren können. Die Elternberaterinnen begleiten die Familien verlässlich durch die gesamte Zeit ihres Krankenhausaufenthaltes und fungieren als kontinuierliche Gesprächspartnerinnen. Dadurch sind sie in der Lage, Abläufe und Prozesse sowohl zu koordinieren als auch zu kommunizieren und verhindern damit Informationsverluste. Ein wichtiges Ziel in der Beratung stellt u.a. die Erweiterung der individuellen Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten dar, die die Eltern dazu befähigt ihre Elternkompetenz zu stärken. Vor diesem Hintergrund ist der familienzentrierte und damit ganzheitliche Beratungsansatz auch für die anderen Angehörigen des Kindes unter Umständen von Bedeutung. Das Familiensystem besteht oft aus weiteren wichtigen Personen, wie zum Beispiel Geschwistern, Großeltern oder anderen wichtigen Menschen. Diese Familienmitglieder werden bei Bedarf individuell in die Begleitung mit einbezogen und beraten. Alle Mitarbeiterinnen der Elternberatung sehen sich als Teil eines multiprofessionellen Netzwerkes und tragen durch einen kontinuierlichen kollegialen Austausch zur individuellen und bedarfsgerechten Unterstützung der Familien bei.

Präpartale Beratung

Bereits vor der Geburt bietet die Elternberatung betroffenen Eltern pränatale Beratungen an. Viele Eltern haben Fragen, die deutlich über die medizinischen Themen hinausgehen und unter anderem Ängste, Überforderungen, ambivalente Gefühle oder organisatorische Fragen beinhalten. Schon hier kann gemeinsam geschaut werden, welche Berufsgruppen miteinbezogen oder Unterstützungsangebote vielleicht schon auf den Weg gebracht werden können. Zudem können Eltern die Räumlichkeiten vom Geburtsraum über den Erstversorgungsraum bis zur Neonatologischen- und Wochenbettstation besichtigen und schon im Vorfeld den Weg kennen lernen, den ihr Kind und sie nach der Geburt gehen werden. Diese Gespräche finden ausschließlich nach vorheriger Terminvereinbarung statt, sodass sowohl die Väter als auch andere wichtige Menschen die Möglichkeit haben am Gespräch und der Besichtigung teilzunehmen. Die obligate vorherige Terminabsprache ermöglicht den Eltern sich auf das Gespräch vorbereiten zu können.

Postpartale Beratung

Nach der Geburt des Kindes stürzen viele neue Fragen und Gefühle auf die Eltern ein. Viele Eltern beschreiben die ersten Tage nach der Geburt als eine emotionale Achterbahnfahrt. Die Elternberaterin besucht die frischgewordenen Eltern täglich auf der Wochenbettstation und bietet zum einen Gespräche zur emotionalen Entlastung an. Zum anderen werden die nächsten Schritte auf ihrem neuen Elternweg gemeinsam besprochen und geplant. Auch hier steht die schnellstmögliche Orientierung im Vordergrund, die die Eltern dabei unterstützen soll, ins Handeln und in eine zunehmende Selbstständigkeit zu kommen. Mit der Entlassung von der Wochenbettstation sollen die Eltern ein Gefühl der Orientierung und einen ersten Plan haben, wie der zukünftige Alltag funktionieren kann.

Begleitung während des weiteren Klinikaufenthaltes des Kindes

Während des gesamten stationären Aufenthaltes des Kindes stehen die Mitarbeiterinnen der Elternberatung den Eltern zur Verfügung. Erfahrungsgemäß sind aber vor allem die versorgenden Pflegekräfte in dieser Zeit die besonders wichtigen Ansprechpartner/innen. Dennoch äußern Eltern immer wieder den Wunsch nach Einzel- oder Paarberatungen. Je nach Bedarf können dann einmalige oder regelmäßige Gesprächstermine Einzel- und/oder Paarberatungen vereinbart werden. Besonders mit zunehmender Aufenthaltsdauer des Kindes steigt oftmals die elterliche Belastung wie zum Beispiel im täglichen Pendeln zwischen dem Alltag auf der neonatologischen Station und dem häuslichen Alltag. Ziel solcher Gesprächsangebote sind neben der Möglichkeit zur emotionalen Entlastung und Stabilisierung die gemeinsame Suche nach Ressourcen, Bewältigungsstrategien und Kraftquellen.

Vorbereitung der Entlassung

Die Elternberatung, als Teil eines multiprofessionellen Teams bereitet frühzeitig und gemeinsam mit den Eltern die individuelle und passgenaue Entlassung nach Hause vor. Das Entlassungsmanagement orientiert sich am Expertenstandart und berücksichtigt die jeweils unterschiedlichen familiären Situationen. Ziel ist es, in die individuellen familiären Bedürfnisse aber auch vorhandene Ressourcen zu erkennen und die Eltern so vorzubereiten, dass es nicht zu Versorgungsbrüchen beim Übergang in die Häuslichkeit kommt. In terminierten Entlassungsgesprächen haben die Eltern die Möglichkeit, Fragen und Ängste über die anstehende Versorgung ihres Kindes zu Hause zu äußern. Zudem bekommen sie Informationen zu den individuellen Besonderheiten ihres Kindes und es wird der passgenaue, ressourcenorientierte Unterstützungsbedarf für die Häuslichkeit ermittelt. Häusliche Unterstützung könnte eine Hebamme, ehrenamtliche Patinnen, Kiezmütter (besonders bei Familien mit Migrationshintergrund), Haushaltshilfen oder die Informationen über Frühchen- oder Mehrlingsgruppen sein. Für Familien mit komplexen Problemlagen im medizinischen/pflegerischen und/oder psychosozialen Bereich, können die Elternberaterinnen Sozialmedizinische Nachsorge oder in Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst Unterstützung aus dem Jugendamt organisieren. In Berlin und Brandenburg arbeitet die Charité mit vier verschiedenen Nachsorgeeinrichtungen zusammen. Darüber hinaus gibt es ein bundesweites Netzwerk.

Trauerbegleitung

Nicht alle Kinder können nach Hause entlassen werden. Manche von ihnen versterben auf einer unserer Intensivstationen oder bereits im Geburtsraum. Selbstverständlich werden auch diese Eltern von der Elternberatung über den Tod ihres Kindes hinaus innerhalb unserer Klinik betreut. Früh verwaiste Eltern haben nur wenig gemeinsame Zeit mit ihrem Kind und deshalb ist jeder Moment kostbar und unwiederbringlich. Die Elternberatung bietet ihre Begleitung an auf den ersten Schritten des Trauerweges und hilft den Eltern dabei sich zu orientieren und zu erspüren, was für sie nun wichtig ist. Die Begleitung endet erst mit der Bestattung des Kindes und einer darauffolgenden wohnortnahen Überleitung und Anbindung an eine adäquate weiterbetreuende Institution (s.Palliativteam).

Perinatale Palliativberatungen

Für Eltern, die ein Kind mit einer unheilbaren Erkrankung erwarten ist die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch nicht immer der richtige Weg. Die sog. Palliative Geburt kann für diese Eltern eine Alternative darstellen. Gemeinsam mit den Palliativmedizinern der Neonatologie und den Geburtsmedizinern beraten und begleiten Mitarbeiterinnen der psychosozialen Elternberatung die Familien, die sich ein Austragen der Schwangerschaft, sowie das Begleiten ihres Kindes im Sterben vorstellen können bzw. sich dafür entscheiden. Die Begleitung durch die Elternberatung endet entweder mit der Entlassung nach Hause, verbunden mit der Betreuung eines ambulanten Kinderpalliativteams oder nach der Bestattung des verstorbenen Kindes und der damit verbundenen Überleitung in eine weiterbegleitende wohnortnahe Institution (s. Broschüre).

Zusammenfassung

Die Elternberatung in der Charité – Berlin ist Teil eines großen Netzwerkes innerhalb und außerhalb der Klinik und über Berlins Grenzen hinaus. Das verbindende Element ist das Ziel betroffene Familien individuell und bedarfsgerecht zu begleiten, voneinander zu lernen und miteinander neue Wege zu erschließen.

Gemeinsam für die Allerkleinsten und deren Familien!

Berlin im November 2017