Effektives Gesamtkonzept statt Einzelmaßnahmen!

 

„Wo Menschen arbeiten, da passieren Fehler. Aber es liegt an uns, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, um mögliche Schäden von unseren Patienten abzuwenden. Das gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für unsere Allerkleinsten!“

 Dr. Manuel Wilhelm, Ärztlicher Leiter der Neonatologie und Kinderintensivstation der Main-Kinzig-Kliniken in Gelnhausen

Medikamentenfehler auf der Intensivstation sind häufig, oft aber vermeidbar!

 

Mit seinem Team hat der Mediziner entsprechende Leitlinien im Rahmen der Medikamentensicherheit entwickelt und setzt dabei auf ein effektives Gesamtkonzept anstelle vieler Einzelmaßnahmen. „Die Sicherheitsstandards in deutschen Krankenhäusern waren nie so hoch wie heute, aber wir sind definitiv noch nicht am Ziel angekommen“, so Dr. Manuel Wilhelm. Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten seiner Ansicht nach enorme Anstrengungen unternommen wurden, um Patienten vor Fehlern und Schäden im Krankenhaus zu bewahren – trotzt aller Bemühungen der beteiligten Berufsgruppen, qualitätsfördernde Maßnahmen zuverlässig umzusetzen – zeige der Stationsalltag, dass man von einem „Nullfehleransatz“ noch weit entfernt sei. „Man schätzt, dass etwa 80 Prozent der unerwünschten Ereignisse in der Akutmedizin auf menschliches Fehlverhalten oder Nachlässigkeit zurückzuführen und damit grundsätzlich vermeidbar sind. Medikamentenfehler wiederum haben hieran den größten Anteil und gerade sehr kleine Frühgeborene sind hierdurch besonders gefährdet“, erklärt der Mediziner. So belegen Studien immer wieder, dass nicht nur auf der Erwachsenenintensivstation, sondern auch in der Neonatologie Medikamentenfehler die häufigsten Zwischenfälle mit bedrohlichem oder gar tödlichem Ausgang sind. „Bereits kleine Unterschiede in der Dosierung oder Verabreichung haben oft weitreichende Konsequenzen.“

Die Idee – Wenn man den komplexen Prozess einer Medikamentenverabreichung auf der Intensivstation beobachtet, wird die Vielzahl an Fehlermöglichkeiten deutlich. Angefangen mit Indikationsstellung und gewichtsbezogener Dosis, korrekter Anordnung und Zubereitung bis hin zu richtigen Verabreichung beim richtigen Patienten, fast immer sind mehrere Mitarbeiter mit vielen fehleranfälligen Schritten betraut. „Schnell wird also klar, dass Einzelmaßnahmen nicht zum Erfolg führen können, sondern nur ein umfangreiches Gesamtkonzept effektiv und nachhaltig Medikamentenfehler vermeiden kann“, macht Wilhelm deutlich.

Konzept – In der Neonatologie des Perinatalzentrums Gelnhausen wurde im Team ein einheitlicher Standard zur Medikamentensicherheit erstellt und etabliert. Dieser beinhaltet die wichtigsten Teilaspekte des Gesamtprozesses einer Medikamentenverabreichung. „Das fängt unter anderem mit einem klar geregelten und übersichtlichen Medikamentenbestand auf Station an, und geht bis hin zur einheitlichen Festlegung auf die Verwendung des Wirkstoffnamens anstelle der Handelsbezeichnung“, macht Wilhelm deutlich.

 

Bei Unklarheiten muss nachgehakt werden! So wurden zur Spritzenkennzeichnung beispielsweise farbige Etiketten nach DIVI-Standard eingeführt, für spezielle neonatologische Medikamente wurden sogar eigene Aufkleber entworfen und produziert. „Wir haben außerdem in neue Perfusoren und Infusionsgeräte investiert und hierfür eine eigene Datenbank programmiert. Dadurch sind nicht nur Wirkstoffname und Dosis im Display jederzeit klar erkennbar; durch eingestellte Grenzwerte werden beispielsweise Überdosierungen wirksam unterdrückt“, so Wilhelm.

Weitere Maßnahmen im Rahmen der Medikamentensicherheit:

  • Farbige Infusionsleitungen (z.B. rot für Katecholamine), die zur leichteren/schnelleren Orientierung, auch bei Intensivpatienten dienen

  • Zusätzliche kleine „Fähnchen“ an der patientennahen Seite der Infusion, die eine sichere Zuordnung des entsprechenden Medikamentes gewährleistet

  • Installation von geeigneten Druckern im Kreißsaal, zum Druck standardisierter Armbänder, zur eindeutigen Identifikation der Kinder anhand von Namen und Patienten-ID von Geburt an

  • Umstellung auf zwei nicht miteinander kompatible Systeme, um gefährliche Verwechslungen zwischen oraler und intravenöser Gabe zu verhindern (Beispiel: Spritze mit Hustensaft passt definitiv nicht mehr an intravenösen Zugang)

  • Einführung eines Programm zur Überprüfung auf Wechselwirkungen

  • Entwicklung einer Tabelle zur möglichen Mischbarkeit von auf der Station verwendeten Medikamenten

 

Umsetzung – „In mehreren Pflichtveranstaltungen wurde dem gesamten Team Sinn und Notwendigkeit des Standards, aber auch der konsequenten Einhaltung der „Spielregeln“ näher gebracht“, erklärt Dr. Manuel Wilhelm. Für neue Mitarbeiter wurde die Einweisung in das Medikamentenkonzept in die bestehenden Einarbeitungscurricula bereits integriert. Zudem wurden sowohl für das ärztliche als auch das pflegerisches Personal entsprechende Rechenblätter für typische Medikamente und Anwendungen erstellt und gemeinsam erarbeitet; und zusätzliche Hilfsmittel (Kindernotfalllineal, Notfallkarten am Bettplatz, Smartphone-App zur Perfusorberechnung) etabliert, in den regelmäßigen Simulationstrainings auf Station Schwerpunkte auf die Medikamentenverabreichung gesetzt. „Die konsequente Umsetzung wurde auch deshalb möglich, weil wir als erste Klinik in Hessen vollumfänglich den gesetzlich geforderten Pflegeschlüssel umsetzen und beispielsweise neonatologischen Intensivpatienten regelhaft eine 1:1-Versorgung durch eine Kinderintensivschwester ermöglichen.“

Erste Erfolge – Bereits ein halbes Jahr nach der vollumfänglichen Einführung des Medikamentenkonzeptes sind Veränderungen sichtbar! „Pflegekräfte und Ärzte haben im Umgang mit Medikamenten gleichermaßen an Sicherheit gewonnen, das gesamte Team wurde für dieses wichtige Thema anhaltend sensibilisiert. Auch wenn es für eine abschließende Beurteilung v.a. hinsichtlich Anzahl und Schweregrad von Zwischenfällen noch zu früh ist, sind wir überzeugt, einen richtigen und wichtigen Schritt hin zu mehr Patientensicherheit in der Neonatologie getan zu haben“, freut sich Wilhelm über den Erfolg für die Main-Kinzig-Kliniken im Sinne der kleinen Patienten.

 

Foto-/Textnachweis: Main-Kinzig-Kliniken